Flucht vor toten Fischen

SPIEGEL 46 /1996 S.218

Wer weggeht, muß wissen, was er zurückläßt. Rita geht, doch ihr Aufbruch ist keine Affekthandlung, sondern lang aufgeschobener Abschied: Sie flieht vor einer Welt, deren Zauber sich verflüchtigt hat im Gestank toter Fische, faulenden Wassers und im Rotweinatem ihres versoffenen Mannes, des Fischhändlers Ennio. Sie verläßt Venedig, „eine Stadt, die keinen Abstand kennt“, nachdem es ihr nicht gelungen ist, der Touristenschönheit anders als mit Distanz zu begegnen. Aber auch ihre Ankunft bei ihrem Bruder Anton in Wien wird kein Ankommen, selbst dort ist sie eine „Aushäusige“.
„Es wäre schön, wenn sich Enden so ergeben würden wie Anfänge“, heißt es in Sabine Grubers Debütroman, der sich wie ein Reisebericht der besonderen Art liest. Wunderschön unaufgeregt und aus geschickt miteinander verschränkten Perspektiven wird die Geschichte von Rita und Anton erzählt, Geschwister, die herumirren, ihr Ziel nicht kennen und es dennoch nicht aus den Augen verlieren. Das hat viel mit Leiden zu tun und wenig mit Larmoyanz, weil die 33 Jahre alte Schriftstellerin zwar Anteil nimmt an der Suche, sie zugleich aber erbarmungslos nüchtern und genau, fast spröde beschreibt.
Das Geheimnis des Buches wie seiner Figuren ist die Sprache. Rita hat sich in die Redegewandtheit Ennios verliebt und gehofft, mit dem Venezianer „jemanden gefunden zu haben, der mit ihr sprechen würde, so daß es keine Rolle mehr spielte, wo sie gerade wohnte. Als wäre das Angesprochenwerden schon Heimat.“ Ihr Bruder versucht Südtirol, dem Land der „Stottersprache“, zu entkommen, indem er Journalist wird. Doch die, deren Muttersprache das Schweigen ist, lernen nicht, ihr Leben schönzureden. Die Sprachlosigkeit schleppen sie mit sich herum wie ihre Heimatlosigkeit: „Am Ende ist jedes Wort falsch, wird auf seine Wörtlichkeit reduziert und läßt keinen Ausweg offen.“ Wer weggeht, muß wissen, was er mitnimmt.