Zwei Gedichte im Jahrbuch der Lyrik 2019 hrsg. von Mirko Bonné und Christoph Buchwald Frankfurt a.M.: Schöffling & CO. 2019 S.65 und S.79
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Paliano, Latium
Manchmal spüre ich einen fremden Atem,
Sehe Schatten, Fußabdrücke und vernehme
Doch nur die beiden Käuze im Steineichen
Bestand, höre das Hin und Her ihrer Rufe,
Ihr hartnäckiges Werben. Vom Himmel
Fällt feiner Staub. Die Blüten schütteln sich
Im aufziehenden Sturm. Ich saß hier schon
Einmal vor sieben Jahren in Sichtweite
Der sieben Hügel. Das Glück trug noch
Hohe Schuhe und einen nackten Frack.
Komm, laß uns noch einmal mit dem
Grünen Volvo durch die Landschaften
Fahren, unter rosa Schlieren und schlaffen
Wolkenschleiern. Es ist wieder Hochzeit
Der Trauernden. Füchslein liegt mir zu
Füßen und kläfft. Ich trage einen halben
Hut. Vor einem Jahr war ich noch am Rhein
Mit einem anderen Hund. In den Film
Auf dem Autodach schreibt jetzt einer
Nasse Zeilen.
Wien, Leopoldstadt
Der Winter verabschiedet sich mit Messer
Stichen, mit Blut auf der Praterstraße, mit
Hunden im Park und Polizisten. Er geht
Über schwarzen Schnee und grüßt die
Toten, die Verschwundenen, die uns
Mit anderen Wintern zurücklassen.
Geht mit Träumen über aufgetaute
Grasflächen, über rutschige Treppen,
Und wenn wir die Lichtflächen am
Himmel sehen, dreht er sich noch
Einmal um mit Schneewolken, mit
Gestöber, tanzt ausgelassen, als hätte
Er alles vor sich: Das Glitzern, das Weiß
Land ohne Stadt, ohne Blaulicht und
Menschen. Eisblumen. Und Gletscher
Für Jahrtausende. Wir winken einander
Zu, zwei aus einem Wasser, aus einer
Kälte. Zwei unter einer Sonne, mit
Nichts als glücklosen Seitensprüngen
In eine neue Zeit.